»Signal und Rauschen«

GERALD FIEBIG – Echokammer vs. Schreizimmer:
Sprechtexte als akustische Kunst

Interview: Martyn Schmidt

Gerald Fiebig (Augsburg, *1973) schreibt seit 30 Jahren Lyrik und macht seit 15 Jahren Klangkunst. Mit »Voiceworks« (2021, atemwerft) führt er diese beiden Stränge seiner künstlerischen Praxis in einer einzigen Veröffentlichung zusammen: auf Stimme basierende, elektroakustische Kompositionen, Lautgedichte, Spoken-Word-Nonsense-Texte, stimmbasierte Performances.

Anhören / Streaming: »Dynamitfischen im Schauspielhaus« vom Album »voiceworks« (atemwerft 2021):

»Meine Grundauffassung ist, dass Sprechtexte und Musik, genauso wie Klanginstallationen oder Radiokunst, letztlich nur Subgenres von akustischer Kunst sind.«

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Man kennt dich seit geraumer Zeit sowohl als Lyriker wie auch als Soundkünstler. Die Verknüpfung von beidem in einer Art Sound-Poetry im engeren Sinne, zu einer Art Sprech- und Lautpoesie ist eher ein neues Feld bei dir. Wie kam es dazu?

Die Lyrik ist ja mein erstes künstlerisches Standbein gewesen, da bin ich schon seit den frühen 90ern mit Auftritten und Veröffentlichungen unterwegs. Mitte der 2000er kam dann die Audiokunst dazu, und ich habe seither immer nach Möglichkeiten gesucht, diese beiden Arbeitsfelder schlüssig zu verbinden. Zwei Anläufe dazu waren die Alben Pferseer Klangtrilogie und Phonographies, die beide 2013 erschienen sind. Auf beiden Alben wurden Bezüge zwischen Text bzw. Schrift und Sound hergestellt. Meine Stimme war dabei jeweils eher so das Mittel zum Zweck, um die Texte hörbar zu machen. Und dann bekam ich von dir das Angebot, ein Album auf deinem Label atemwerft zu veröffentlichen . . .

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. . . wo es ja Grundprinzip des Labels ist, dass das veröffentlichte Material möglichst ausschließlich stimmbasiert ist.

Genau. Und bei der Konzeption des Albums fiel mir auf, dass ich im Lauf der Zeit einige Stücke komponiert hatte, auf die das zutraf – sowohl mit meiner eigenen Stimme als auch mit der von Michael Herbst, mit dem mich seit vielen Jahren eine freundschaftliche Kooperation verbindet. Es gab aber nur ein Stück, das man als so etwas wie ein Lautgedicht bezeichnen konnte, nämlich Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill. Daraufhin habe ich dann gezielt Texte für das Album geschrieben, die diesen Lautgedicht-Aspekt ausbauen, damit das Album praktisch eine Brücke schlägt von einem fast »normalen« Gedicht wie dynamitfischen im schauspielhaus zu elektroakustischen Kompositionen und Radioarbeiten. So deckt es nämlich tatsächlich irgendwie meine gesamte Praxis der letzten 30 Jahre ab, oder fasst sie zusammen, wenn man so will.

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Dann hat dich also der Wunsch nach einer Synthese dazu gebracht, dich in ein ganz neues Genre vorzuwagen?

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Jein. Also, innerhalb meines veröffentlichten Werks sind Lautgedichte etwas Neues, da hast du definitiv recht. Aber es sind nicht die ersten, die ich geschrieben habe. Biografisch gesehen schließt sich da für mich auch deshalb ein Kreis, weil ich schon mit 15 oder 16 – also praktisch zeitgleich mit dem Beginn meines Lyrikschreibens, oder ganz kurz danach – angefangen habe, so was Ähnliches wie Lautgedichte zu machen.

»Mir hat schon immer die akustische Komponente der Metapher des Rauschens gefallen, aber auch das latent subversive Element, also dass das Rauschen herrschende, ideologische Sprachformen untergräbt.«

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Hast du sie nur geschrieben oder auch tatsächlich vorgetragen?

Ich habe sie auch vorgetragen! Ich hab‘ über den Kunstunterricht in der Schule mit 15 oder so Dada entdeckt und dann zusammen mit meinem Schulfreund Gerald Sorko das Duo Los Hermanos Morales gegründet. Das war natürlich gemessen am Impact des historischen Dadaismus ein recht harmloser pubertärer Spaß, aber unserem Selbstverständnis nach waren wir absolut Dada. Wir sind mit dem Duo auch aufgetreten, und auch das entwickelte sich parallel zu meinen ersten Schritten in die Öffentlichkeit mit meiner »normalen« Lyrik.

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Und ich kann mich erinnern, dass das für mich die drei, vier Jahre, die wir das gemacht haben, ziemlich wichtig war, weil mir das so als quasi subversives Korrektiv erschien zu dem doch recht – naja, vielleicht nicht bürgerlichen, aber sagen wir mal: angestaubten und mir daher selber ein bisschen suspekten kulturellen Modell des sogenannten Dichters, auf das ich mich da im Begriff war einzulassen. Dieses Dada-Ding war praktisch so die internalisierte Gegenkultur zu mir selber. Und das Tolle an Los Hermanos Morales war, dass wir auch Musik dabei hatten. Gerald hat Bratsche gespielt, was ich ab dem Zeitpunkt besonders aufregend fand, als ich The Velvet Underground mit der Drone-Viola von John Cale entdeckt habe. Und auch meine Entdeckung von Punk mit 16 hat sich für mich ziemlich schnell mit Dada kurzgeschlossen, weil ich damals schon auf ein Buch gestoßen bin, das die Parallelen von Dada und Punk herausgearbeitet hat.1 

Es gab bei uns auch mindestens einen Song, der eher so einen Deutschpunk-Text hatte. [lacht] Von daher war dieses Duo ein unheimlich gutes Vehikel, um alle möglichen Sachen auszuprobieren, die mich damals interessiert haben. Und die nach wie vor prägend sind.

1 Bernd Hahn/Holger Schindler: Punk – die zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt. Hamburg: Buntbuch Verlag 1983.

 

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Sind die Lautgedichte, die auf Voiceworks zu hören sind, eher eine Reminiszenz an diese prägenden Einflüsse – oder auch ein Vehikel für das, was dich eben heute interessiert?

Definitiv Letzteres. Mir ist bloß beim Nachdenken darüber aufgefallen, wie viel ich tatsächlich von der Zusammenarbeit mit Gerald heute noch zehre. (Das ist übrigens kein Fake, so von wegen Alter Ego und so – er hat halt einfach wirklich denselben Vornamen wie ich.)  [lacht] Genauso wie ich in meiner Sound-Arbeit total davon profitiert habe, was wir beide, Martyn, uns von 2005 bis 2007 als hybrides Spoken-Word/Sample Poetry/Songwriting-Gespann auf der Bühne erarbeitet haben.

Aber tatsächlich interessiert mich seit geraumer Zeit das Verhältnis von Signal und Rauschen. Ich hab schon 1998 meinem Gedichtband rauschangriff ein Motto von Umberto Eco vorangestellt, in dem es darum geht, dass das, was in der Alltagskommunikation informationelles Rauschen ist, das die Verständlichkeit der Botschaft verschlechtert – also umständliche Sprechweise, eigenartige Wörter usw. – in der poetischen Botschaft selbst zur Botschaft werden kann, weil man an poetische Texte einen ästhetischen Code anlegen kann, innerhalb dessen dieses »Rauschen« Sinn ergibt.

Daran hat mir schon immer die akustische Komponente der Metapher des Rauschens gefallen, aber auch das latent subversive Element, also dass das Rauschen herrschende, ideologische Sprachformen untergräbt. So wie der Noise-Theoretiker Paul Hegarty später auch schrieb: »Noise is like the avant-garde«, eine Bewegung, ein Impuls, der bestehende Formen infrage stellt.

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Dieses Rauschen tritt in deinen Lautgedichten als nicht-semantisches Element der Sprache noch stärker in den Vordergrund als in dem, was du deine »normalen« Gedichte nennst. Ist es das, was dich an Lautpoesie heute reizt?

Absolut. Und das macht sie eben auch anschlussfähig an meine akustische Arbeit, denn da interessiert mich das Thema Signal vs. Rauschen auch sehr. Nicht unbedingt im Sinne von Ekstase durch Harsh Noise – das höre ich gerne, mache ich aber eher nicht selber – , aber so als selbstreflexives oder wenn man so will ideologiekritisches Moment des Sounds: wenn man die Nebengeräusche hört, hört man auch gleich, dass es sich hier um eine Aufnahme handelt, um Technologie. Man kann quasi nicht vergessen, dass man es mit einem medialen Konstrukt zu tun hat anstatt mit einer »authentischen« Realität.

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Auf Voiceworks finden sich zwei Arten von Stücken. Zum einen Sprachtracks, bei denen die Stimme als Rohmaterial für eine technologische Transformation dient. Zum anderen Stücke, bei denen die Sprechstimme als Instrument selbst dient – vielleicht unterstützt durch Präparationen wie die Steine in Rolling the Stone of Demosthenes up the Fucking Hill. Wie würdest du das Verhältnis dieser zwei Arten von Stücken zueinander beschreiben?

Das hat verschiedene Aspekte. Grundsätzlich mag ich es, auch bei den elektroakustischen Kompositionen mit »minimalistischen« Ausgangsmaterialien zu arbeiten, und die Stimme als ein Klangerzeuger, der jedem Menschen zur Verfügung steht, ist da einfach naheliegend. Aber die Stücke, die ohne Software, Computer und damit ohne Elektrizität auskommen, sind vielleicht die zukunftsweisenderen. Uns steht ja eine Zeit bevor, in der durch mehr Naturkatastrophen und den bestimmt nicht reibungslosen Umbau der Stromproduktion auf erneuerbare Energien öfter mal der Strom ausfällt oder knapp wird. Da wird’s für eine Kunstform, die das »Elektro« schon im Namen trägt, bestimmt nicht einfacher. Ich denke daher gerade über Möglichkeiten möglichst rein akustischer Sound-Kunst nach, und da passen die Lautgedichte auf diesem Album ganz gut dazu.

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Würdest du Voiceworks eher in deinen musikalischen oder deinen literarischen Werkkatalog einordnen?

Das Tolle ist, dass es sich in beide Zusammenhänge einfügen lässt und damit die Grenze potenziell aufhebt. Und das deckt sich auch mit meiner Grundauffassung, dass Sprechtexte und Musik, genauso wie Klanginstallationen oder Radiokunst, letztlich nur Subgenres von akustischer Kunst sind. Was die, ich möchte mal sagen, Übersetzbarkeit von Text in Musik (und umgekehrt) angeht, oder die Komposition von Texten als musikalische Aufführungen, habe ich ziemlich viele Anregungen durch das künstlerische und theoretische Schaffen von Stephan Wunderlich und Hans-Rudolf Zeller erhalten. Das letzte Stück auf dem Album, vanishing ceaselessly, entstand auch als Zuspieler für ein Stück, das ich 2008 im Auftrag von Stephan Wunderlich für das von ihm und Edith Rom kuratierte Festival Experimentelle Musik in München geschrieben habe.

Und so machen’s ja auch die Profis: Michael Barthel bezeichnet seine Sprech-Performances ja konsequent immer als »Konzerte«, und auch ein John Cage hätte seine Lecture-Performances mit Sicherheit als musikalische Aufführung verstanden. Und auch bei Künstler*innen wie Kinga Toth oder Jaap Blonk oder auf andere Weise auch bei dir, Martyn, sind die Übergänge zwischen Poesie und Musik ja tendenziell immer total fließend. Und das finde ich grundsätzlich sehr erstrebenswert. Ich glaube, dass mir auch der atemwerft-Katalog da seit Gründung des Labels ganz schön viele Impulse gegeben hat, was in diesem entgrenzten Bereich alles möglich ist. Von daher bin ich sehr geehrt und dankbar, dass ich da jetzt selbst mitmischen darf.

Das Gespräch zwischen Gerald Fiebig und Martyn Schmidt fand statt im Sommer 2021. © atemwerft 2021 / aw 009


»Voiceworks« erscheint als CDr und als Digital-Album auf atemwerft. Die CDr-Veröffentlichung ist limitiert auf 55 nummerierte Exemplare, die ersten 15 von Gerald Fiebig handsigniert. Jede CDr ist handgestempelt & handnummeriert und kommt im Origami-Cover mit Siegel, und Folder inklusive Sleevenotes. Schwarze CD im Vinyl-Look mit tastbaren »Schallplatten-Rillen«.

Erhältlich bei www.atemwerft.de

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